Aber die Gesellschaft erwartet von den 30- bis 50jährigen ausreichende Einkommen, um die Renten der stark anwachsenden Gruppe der Rentner sichern zu können. Wir erwarten, dass sie selbst für die eigene Rente vorsorgen. Wir erwarten, dass sie sich um ihre Familien kümmern und mehr als zwei Kinder haben um dem Bevölkerungsschwund entgegen zu wirken, denn weniger Menschen bedeuten weniger Wachstum. Wir erwarten, dass sie ihren Kindern eine gute Ausbildung finanzieren, denn nur dann werden sie den gewohnten Wohlstand aufrechterhalten können. Und selbstverständlich sollen sie sich um die Pflege der Alten kümmern. Aber wie soll das gehen?
Die Arbeitsgemeinschaft 60plus der Wittmunder SPD hatte Prof. Dr. Gerhard Nägele eingeladen, um die Fragen des Demografischen Wandels zu erörtern, der uns längst erfasst hat. Wie Nägele in einem überaus spannenden Vortrag erläuterte, macht die Politik dabei längst nicht alles richtig, um Älteren und Jüngeren ein auskömmliches Altern zu sichern.
Als emeritierter Professor des Instituts für Gerontologie an der TU Dortmund und Experte auf diesem Gebiet vertritt Nägele entschieden die Ansicht, dass Leistungen der Solidargemeinschaft Rentenversicherung nur denen zustehen, die abhängig von der Höhe und der Anzahl ihrer Beiträge Ansprüche erworben haben. So betrachtet er die Finanzierung des CDU/CSU-Wählergeschenkes „Mütterrente“ als verfehlt. Gleiches gilt für die Erwiderung der SPD „Rente mit 63“. Gewiss gönnt Nägele allen Betroffenen die aktuell diskutierte Grundrente als Anerkennung ihrer Lebensleistung, aber solche Leistungen müssen aus Steuermitteln und nicht aus dem Solidarfond der Rentenversicherung finanziert werden, zumal dieser bei Eintritt der sog. Babyboomer in das Rentendasein noch ungleich stärker belastet werden wird.
Unzureichende Vorsorge gegen Altersarmut
Die aktuelle Diskussion über Altersarmut hält Nägele für übertrieben. In erster Linie betroffen sieht er „familienorientierte Frauen“, die als Hausfrau und Mutter keine oder unzureichende Beiträge an die Rentenversicherung abgeführt haben und nach einer Scheidung kein ausreichendes Einkommen erhalten. Hier trägt der Staat eine Mitverantwortung, weil aufgrund fehlender Kinderbetreuung in vielen Fällen gar keine eigene Erwerbstätigkeit in ausreichender Form möglich war. Daneben wurde versäumt, Selbstständige pflichtzuversichern. Von den in diesen Bereich fallenden selbstständigen LKW- oder dem sprichwörtlichen „Bo-Frost-Fahrern“ haben viele gar nicht für die Rente vorsorgen können.
Finanzierung der Grundrente aus der Rentenversicherung falsch
Ohne Zweifel ist der aktuelle Ansatz der SPD richtig, Bürgern mit 35 und mehr Beitragsjahren ein ausreichendes Einkommen im Alter zu gewähren. Aber auch in diesem hoch aktuellen Thema betrachtet es Nägele als falsch, eine solche Grundrente aus der Rentenversicherung zu finanzieren. Die Leistungen aus einer Versicherung müssen strikt von Leistungen aus Steuermitteln getrennt werden, wenn das bundesdeutsche Rentenversicherungssystem für zukünftige Generationen überlebensfähig bleiben soll. Der auf wissenschaftlich korrekte Erkenntnisse pochende Professor hält es für notwendig, eine Aufstockung der Rente aus Steuermitteln zu finanzieren, diese aber an einen Nachweis der Bedürftigkeit zu knüpfen.
In diesem Zusammenhang bedauerte Nägele die seines Erachtens zu geringe Kompetenz der Politiker in den zunehmend wichtiger werdenden Fragen der Demografie. Seines Erachtens müssten die Parteien sachkundige Personen holen und fördern, um zukünftig die richtigen Weichenstellungen zu finden. Als langjähriges SPD-Mitglied darf Nägele seiner SPD wohl diesen Vorwurf mangelnder Sachkunde machen.
Es geht nur mit längerer Lebensarbeitszeit
Ausführlich widmet sich der Professor dem Aspekt längerer Lebensarbeitszeit. Natürlich ist ihm bewusst, dass die meisten Arbeitnehmer das Gegenteil wünschen. Aber die von ihm dargelegten Grafiken und Zahlen zur Entwicklung der Altersstruktur beweisen, dass sehr kurzfristig eine Änderung dieser Vorstellungen vom Altersruhestand unvermeidlich sein wird. Da spielt nicht nur das Drängen der sog. Babyboomer in die Rente eine Rolle, sondern auch die waschsende Pflegebedürftigkeit. Andererseits verlängert sich jene Zeitspanne im Alter, in der Menschen fit und einsatzfreudig sind, also gar nicht auf’s Altenteil geschoben werden wollen. 1985 haben 19% der 75 – 79jährigen ihren Gesundheitszustand als gut bis sehr gut angegeben. 2012 hat sich diese Gruppe bereits auf 36% nahezu verdoppelt. Und von den 47% der 65 – 74jährigen könnte ein wesentlicher Teil in zahlreichen Berufen durchaus länger arbeiten, wenn …
Ja wenn Politik und Gewerkschaften die Aufgabe sähen, die Arbeitswelt moderner und humaner zu gestalten: Die Arbeitswelt braucht Flexibilität für Jung und Alt in allen Abschnitten der Erwerbstätigkeit; in Phasen der Kindererziehung, der Weiterbildung, der Pflege der Alten und ebenso zum Nachgehen persönlicher Interessen. So wäre eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit denkbar, die den Einzelnen insgesamt weniger belastet als die heutige strenge Trennung von Arbeits- und Rentnerleben. Mag sein, dass sich dies momentan noch utopisch anhört. Aber die digitale Revolution steht uns zweifelsfrei bevor und hier sind neue Konzepte zur aktiven Gestaltung der Arbeitswelt gefragt. Beruhigend, dass Nägele hier keinen Grund für steigende Arbeitslosigkeit sieht. Auch eine digitale Arbeitswelt funktioniert nur mit Menschen.